Der Gartensaal des Wetzlarer Hofes war fast zu klein für die rund 70 Gäste, die sich auf Einladung der SPD Lahn-Dill eingefunden hatten, um den Vorsitzenden der SPD-Europaabgeordneten zum Thema „Ist der Euro noch zu retten?“ zu hören. Mit auf dem Podium: Landrat Wolfgang Schuster, der den Zusammenhang zwischen der Finanzmarktkrise und der Kreispolitik erläuterte.
Zunächst aber ordnete Bullmann die aktuelle Diskussion über die Staatsdefizite einiger Euro-Mitgliedsstaaten in den Gesamtzusammenhang der seiner Meinung nach noch nicht durchgestandenen Weltwirtschaftskrise ein. Er erinnerte dabei daran, dass die Krise ihren Ausgang in den Immobilienblasen in den USA und in Spanien nahm, die wiederum ihre wesentliche Ursache in der Deregulierung der Finanzmärkte hatte. „Das Platzen dieser Blasen hätte mit Sicherheit noch mehr Banken als Lehman Brothers in den Abgrund gerissen, wenn diese Zockerbanken nicht von Staaten mit Steuermitteln gerettet worden wären“, so Bullmann, der auch wirtschaftspolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ist. „Hier wurden Verluste sozialisiert und Gewinne privatisiert. Und nun ist es genau ein Teil dieser mit öffentlichen Mitteln geretteten Banken, die an den noch immer nicht ordentlich regulierten Finanzmärkten wiederum gegen die europäischen Staaten wetten, die durch Rettungsschirme und Konjunkturprogramme ihre Haushalte überstrapaziert haben“, so Bullmann weiter. Damit aber würden die Steuerzahler und ganz besonders die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen doppelt zur Kasse gebeten. Ziel der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament sei es jedoch, die Verursacher der Krise für die Kosten der Krise bezahlen zu lassen, zum Beispiel durch die Finanzmarkttransaktionssteuer, die mit ihren sehr niedrigen Steuersätzen Kleinaktionäre kaum belaste, bei der volkswirtschaftlich schädlichen Spekulation jedoch durch Gewinnabschöpfung dämpfend wirke und die zudem Steuereinnahmen ermögliche, mit denen die Staatshaushalte wieder in Ordnung gebracht werden können. Dies sei auch das richtige Gegenmittel gegen die Spekulation gegen den Euro und gegen einzelne Euro-Länder. Eine Auflösung der Währungsunion hingegen würde allen Euro-Staaten schaden, allen voran dem Exportland Deutschland.
Auch Landrat Schuster nahm die Finanzmarktkrise zum Ausgangspunkt und erläuterte, welche Folgen die Weltwirtschaftskrise für den Haushalt des Lahn-Dill-Kreises hatte und auch weiterhin hat. „Im Jahre 2008 hatten wir die je nach Sichtweise „schwarze“ oder „rote“ Null, im Jahre 2009 einen leichten Überschuss von rund 2,4 Mio. Euro – bis uns die Wirtschaftskrise hart traf: 2010 war bereits ein Minus von über 20 Mio. Euro und im Jahre 2011 ein Minus über 38 Mio. Euro in den jeweiligen Haushaltsplänen zu verzeichnen“, so Schuster. Diese Entwicklung sei eine direkte Folge der schlimmsten Weltwirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg. Schuster wies darauf hin, dass der Konjunktureinbruch in Lahn-Dill-Kreis 8,2% im Jahre 2009 betragen habe. Die industriell geprägte und am Export orientierte Wirtschaft an Lahn und Dill habe diese Krise besonders zu spüren bekommen, in der Spitze waren 13.000 Personen in Kurzarbeit. „Dank des damaligen Arbeitsministers Olaf Scholz (SPD) in Kurzarbeit und nicht arbeitslos“, unterstrich Schuster, der zudem darauf hinwies, dass die Wirtschaftskrise den Kreis doppelt getroffen habe, zum einen durch die wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen und zum anderen durch die steigenden Kosten für die Hilfe zum Lebensunterhalt. Allein im Lahn-Dill-Kreis gebe es 3.300 sogenannte „Aufstocker“, deren Arbeitgeber keine auskömmlichen Löhne bezahlen und die daher auf staatliche Hilfe angewiesen sind, ein Viertel davon arbeiteten in Vollzeit, führte Schuster weiter aus. Dies aber sei nur ein Teil der Sozialkosten, die der Kreis zu tragen habe. „Für unsere heimische Exportwirtschaft wäre eine Auflösung des Euro-Raumes Gift, allein schon deshalb unterstütze ich die Linie von Udo Bullmann. Auch eine Verbesserung der staatlichen Einnahmesituation – zum Beispiel durch eine Finanzmarkttransaktionssteuer – ist dringend notwendig, dies muss dann aber den Kommunen zu Gute kommen, die für die ihnen zugeschanzten Aufgaben nicht angemessen finanziert werden“, so Schuster. Vielleicht, so schlug Udo Bullmann im Rahmen der anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden vor, sei ein Automatismus im Zusammenhang mit der sogenannten Schuldenbremse denkbar: „Immer wenn ein Staat die Schuldengrenze überschreitet, könnte automatisch die Steuerprogression ansteigen. Das ist auf jeden Fall besser und effektiver als Strafzahlungen, die dann doch nur über weitere soziale Einschnitte refinanziert werden.“