Noch im vergangenen Jahr haben wir über den massiven Ärger bei der Schülerbeförderung mit Bussen gesprochen. Hat sich die Situation verbessert, nachdem ein neuer Anbieter den Auftrag übernommen hat?
Wolfgang Schuster: Der Ärger war dadurch entstanden, dass unser Partner, die Verkehrsgemeinschaft Mittelhessen, die ausgeschriebenen Leistungen in Sorgfalt und Qualität nicht erbracht hat. Wir haben uns daher getrennt. Nun fährt Transdev und die Klagen sind deutlich zurückgegangen, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit haben sich deutlich verbessert. Wir sind mit der Leistung daher zufrieden. Wir könnten aber noch besser werden, wenn die Schulanfangs- und Schulendzeiten entzerrt würden. Fangen etwa die Grundschüler eine halbe Stunde später an, hätten alle Kinder im Bus einen Sitzplatz. Wenn aber alle Schüler im Kreis gleichzeitig morgens um 8 Uhr beginnen, bereitet das immer Probleme, die nur mit mehr Bussen und mehr Geld zu lösen sind. Eine Entzerrung der Schulzeiten würde bei fast gleichbleibenden Kosten zu einer erheblichen Qualitätssteigerung führen. Hier appeliere ich an die Schulen.
Nun hat der Kreis zusammen mit Weilburg einen neuen Verkehrsverbund geschmiedet. Welche Vorteile versprechen Sie sich?
Schuster: Der Einkauf und die Überwachung von Verkehrsleistungen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Wir machen das jetzt mit dem Landkreis Limburg-Weilburg zusammen. Dies ist eine Form der interkommunalen Zusammenarbeit. Ich rechne mit 200.000 bis 300.000 Euro weniger Verwaltungskosten.
Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FWG ist ein vierter hauptamtlicher Dezernent festgeschrieben. Es hagelte Kritik. Der Regierungspräsident will nun als Aufsichtsbehörde angesichts leerer Kassen vom Kreis wissen, warum das sachlich und fachlich notwendig ist. Was haben Sie geantwortet?
Schuster: Die Entscheidung für einen vierten Hauptamtlichen ist eine politische Entscheidung der Koalitionspartner SPD, Grüne und FWG. Die schwarz-gelbe Landesregierung in Wiesbaden hat dies durch eine Gesetzesänderung möglich gemacht. Daher wollen in der Kreiskoalition alle drei Partner neben dem direkt gewählten Landrat eine hauptamtliche Präsenz haben. Wir werden dies konkret mit dem Verzicht auf 1,5 Leitungsstellen kompensieren.
Wetzlar will das WZ-Kennzeichen wieder einführen. In der Anfangsphase der Diskussion haben Sie einmal gesagt, dann müsse der Kreis gegebenenfalls keine Zulassungsstelle mehr in Wetzlar betreiben. Nun haben Sie in der Zwischenzeit neu gebaut. Wie geht es weiter?
Schuster: Die Begeisterung der Stadt Wetzlar, eine eigene Zulassungsstelle zu betreiben, hält sich in Grenzen. Wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, alte Kennzeichen wieder einzuführen, werden wir uns selbstverständlich an Recht und Gesetz halten. Ich habe am 4. Oktober mit Oberbürgermeister Wolfram Dette einen Termin im hessischen Wirtschaftsministerium, wo wir das besprechen werden. Ich denke, dass die Zulassungsstelle und die Aufgaben beim Kreis bleiben und lediglich das WZ-Kennzeichen ausgegeben wird. Gleiches würde allerdings auch für das alte DIL-Kennzeichen gelten, allerdings gibt es dazu noch keinen Antrag. Wir hätten dann im Lahn-Dill-Kreis mit LDK, DIL und WZ drei Autokennzeichen. Ich halte das für unsinnig. Der Landesgesetzgeber sollte sich mit den wichtigen Dingen des Lebens beschäftigen. Autokennzeichen gehören meines Erachtens nicht dazu.
Der Aartalsee ist derzeit wegen Wartungsarbeiten an der Staumauer eine stinkende Wattlandschaft. Gastronomie und Strandbetreiber klagen. Gab es keine andere Lösung, als den See mitten in der Badesaison abzulassen?
Schuster: Die regelmäßigen Wartungsarbeiten am Damm können nicht bei Frost ausgeführt werden. Den werden wir in ein paar Wochen aber schon haben. Daher war ein späteres Ablassen nicht möglich. Auch soll der See ja im Frühjahr 2012 wieder voll sein. Die Klagen wären verständlich, wenn wir das Wasser im Mai ablassen würden und er die ganze Saison leer wäre. Das ist aber nicht der Fall. Alle Beteiligten – Kommunen, Gastronomen, Vereine – sind zudem über die Aartalsee-Konferenz rechtzeitig darüber informiert worden.
Der Kreis will bis 2030 die Energiewende schaffen. Wird das ohne sanften Druck, wie etwa mit einer Solarsatzung, gehen? Wo setzen Sie den Hebel an?
Schuster: Ziel ist es, vor Ort so viel Energie zu erzeugen wie möglich. Allerdings eingebunden in einem Verbundsystem, kombiniert mit einem intelligenten Netz. Dies ist eine wichtige regionale Wirtschafts- und Energiepolitik. Unsere Rolle wird eher die des Moderators sein. Entscheidend sind die Kommunen und die Regionalplanung beim Regierungspräsidium. Wir könnten zum Beispiel eine Energiegenossenschaft Lahn-Dill gründen und die privaten und kommunalen Akteure zusammen bringen und in ein Boot holen. Mit dem Landkreis Limburg-Weilburg diskutieren wir derzeit über den Bau und Betrieb einer gemeinsamen Biogasanlage. Geeignete Schuldächer können wir Investoren für Solaranlagen zur Verfügung stellen.
Derzeit haben große Energieversorger auch im Kreis wieder verstärkt Interesse, die Stromnetze der Kommunen zu übernehmen. Steht das einer dezentralen Energiepolitik im Wege?
Schuster: Nein, weil der Netzbetrieb und die Energieerzeugung mit der Einspeisung klar getrennt sind. Das war Ziel des Gesetzgebers. Daher ist die dezentrale Gewinnung regenerativer Energien in den Kommunen nicht abhängig vom Betrieb eines eigenen Netzes. Hier spielt eher der Einfluss und die Beteiligung der Energiekonzerne an den Stadtwerken eine Rolle. Denn klar ist: Dort, wo vor Ort Energie gewonnen wird, wird den großen Konzernen etwas vom Kuchen weggenommen. Die großen Monopolisten werden Verlierer sein. Tausende Betreiber kleiner Anlagen vom Windrad über Biogasanlagen bis zum Blockheizkraftwerk werden die Gewinner dieser Entwicklung sein. Ziel ist es, große Kraftwerke zur Grundsicherung und regenerative Energien intelligent zu verzahnen, damit die Versorgung sicher und bezahlbar bleibt. Das ist auch für den Kreis als Wirtschaftsstandort wichtig.
Ist im Kreis noch Platz für Windräder?
Schuster: Das Regierungspräsidium erstellt gerade eine Potenzialanalyse für regenerative Energien in Mittelhessen. Sie wird noch in diesem Jahr vorliegen und Grundlage für die Planung weiterer Windkraftstandorte sein. Unabhängig davon hat sich eine große Dynamik zu Gunsten der Windkraft hier im Lahn-Dill-Kreis entwickelt. Grundsätzlich sage ich: Die Entscheidung fällt in der Kommune vor Ort.
Wo in Grundschulen investiert werden muss, stellt sich häufig die Standortfrage. Hat sich mit dem Koalitionsvertrag an der grundsätzlichen Haltung (einzügig und mindestens 90 Schüler) etwas geändert?
Schuster: Nein. Wir werden keine Grundschulen schließen, aber Anpassungen vornehmen. Denn wir wollen keine energetischen Trümmer mit 20 Klassenräumen betreiben, wenn wir nur noch vier Räume brauchen. Hier muss es möglich sein, nach Alternativen zu suchen, um unwirtschaftliche Gebäude aufzugeben und abzureißen. Das wollen wir zusammen mit den Kommunen machen. Hier kann es für alle Beteiligten sinnvolle Lösungen etwa im Verbund mit Kindergärten, Gemeinschafts- oder Feuerwehrhäusern geben. Grundsätzlich bin ich dafür, dass in Zukunft die Grundschulen von den Kommunen betrieben werden, also die komplette Betreuungsinfrastruktur für das Alter von 0 bis 10 Jahre. Der Kreis kann sich dann auf weiterführende Schulen beschränken. Hierfür muss der Gesetzgeber aber zunächst den Rahmen schaffen.
Der Bund will nicht mehr so viel Geld für die Lahn als Bundeswasserstraße ausgeben. Die Kommunen wollen nicht zahlen. Wo liegt der Kompromiss?
Schuster: Die meisten Steuern aus dem Lahn-Tourismus landen beim Bund, daher sollte man den Einnahmen auch die Aufgaben zuordnen. Die Kommunen können das nicht finanzieren. Wir sind natürlich gesprächsbereit, wenn eine Gegenfinanzierung angeboten wird. Dann soll es nicht an der Statusfrage der Bundeswasserstraße scheitern.
Wir stehen hier auf dem Dach des Kreishauses und schauen auf den benachbarten blauen Teil A, der marode ist und abgerissen werden soll. Politscher Konsens ist, auf dem Kreisparkplatz nebenan neu zu bauen. Gibt es im Kreis keinen leerstehenden Büroraum? Würden nicht Bürgerbüro und Zulassungsstelle in der Innenstadt reichen?
Schuster: Grundsätzlich führt die Zusammenführung der Verwaltungsstandorte in Wetzlar am Karl-Kellner-Ring zu einer Aufwertung der Not leidenden Innenstadt. Wir haben alle Varianten finanziell geprüft: Sanierung, Anmietung, Kauf und Neubau. Die Zusammenfassung der Wetzlarer Verwaltungsstandorte am Karl-Kellner-Ring ist die wirtschaftlichste Variante. Extern bleiben nur Leitstelle und Brandschutzamt in der Spilburg und die neue Zulassungsstelle im Baumeisterweg. Die Berechnungen dazu kann jeder auf der Homepage des Kreises nachlesen.
Wann bauen Sie?
Schuster: Derzeit prüfen wir noch, ob wir das Kreismedienzentrum an einem Standort etwa gemeinsam mit der Wetzlarer Volkshochschule betreiben können, um weitere Kosten zu sparen. Baubeginn wird erst nach dem Hessentag 2012 sein.
In Wetzlar haben nun mit SPD, Grünen und FWG die gleichen Koalitionspartner das Sagen wie im Kreis. Ihr enger Mitarbeiter Manfred Wagner ist nun Bürgermeister. Regiert der Kreis jetzt in Wetzlar mit? Müssen Sie nun nicht mehr miteinander streiten?
Schuster (lacht): Nein! Die Sonderstatusstadt Wetzlar und der Lahn-Dill-Kreis werden immer Konflikte haben – unabhängig von der Kreis- oder Stadtregierung. Das liegt an den Aufgabenstellungen und Finanzbeziehungen. Allein die Konstellation, dass Wetzlar bei der Kreisumlage einen dicken Bonus bekommt, der Kreis aber weiter Schulträger in Wetzlar ist, wird uns immer in der Diskussion halten. Aktuelles Beispiel ist die Ludwig-Erk-Schule. Mein Verhältnis zu Oberbürgermeister Dette ist gut und entspannt, wir haben bislang immer Kompromisse gefunden. Aber: Die Dezernenten und Bürgermeister der Stadt werden immer die Interessen ihrer Stadt wahrnehmen und die sind nicht immer kompatibel mit denen des Kreises.
Wetzlar wird also nicht politisch in den Kreis eingemeindet?
Schuster: Nein und der Kreis wird auch nicht „verstadtlicht“
Das Massaker von Oslo hat die Welt erschüttert. Was geht in Ihnen vor, wenn ein Massenmörder gezielt Jagd auf Sozialdemokraten macht?
Schuster: Wir haben uns darauf verständigt, die politischen Mitstreiter vor Ort nicht in Verbindung mit dem Massaker zu bringen. Das Massaker in Norwegen an den Mitgliedern der sozialdemokratischen Jugendorganisation war ein Attentat auf die Sozialdemokratie im Allgemeinen. Ich sage: Gewalt beginnt nicht bei Schüssen und Bomben, sondern bei Worten. Daher sollte man Worte abwägen und denen nicht ein Motiv liefern, um Jagd auf Andersdenkende zu begründen. Dies gilt auch für ehemalige Bundesbankvorstände und Herausgeber von politischen Anzeigenblättchen.
Gibt es schon einen Termin für Direktwahl des Landrats?
Schuster: Geplant ist der 13. Mai 2012. Der Kreistag entscheidet darüber am 26. September.
Wer wäre ihr liebster Gegenkandidat?
Schuster: Einer, der verliert.
Werden Sie Ihre Parteifreundin Andrea Ypsilanti als Wahlkampfhelferin einladen?
Schuster: Ich würde es nicht ausschließen.
Wen wünschen Sie sich als Kanzlerkandidaten der SPD?
Schuster: Jemanden der Wahlen gewinnen kann und anschließend ein großes Maß sozialdemokratischer Grundüberzeugung durch Politik umsetzt. Zum Beispiel: Hannelore Kraft.
(Das Inteview wurde geführt von Ralph Menz, Wetzlarer Neue Zeitung)