Der Intensivierung ihrer Beziehungen zur Basis und zum Wähler sollte der erste Konvent dienen, zu dem die Führung der SPD Lahn-Dill für Samstag nach Herborn in den Gutshof eingeladen hatte.
Angesprochen waren alle Mitglieder, und rund 50 aus allen Teilen des Kreises machten Gebrauch von dieser Möglichkeit, mit der Parteiführung „Klartext“ zu reden, ohne vorher umständlich zu einem Parteitag delegiert worden zu sein. Das große Interesse an mehr Tuchfühlung wurde dokumentiert durch mehr als 40 Wortmeldungen: Sie gaben der Diskussion Farbe und Tempo.
Eröffnet wurde die Tagung durch die beiden stellvertretenden Unterbezirksvorsitzenden Stephan Grüger und Dagmar Schmidt, die ein Positionspapier ausgearbeitet und zur Diskussion vorgelegt hatten. Dessen Thesen sollen beim Bundesparteitag der SPD in die Diskussionen einfließen. Grüger und Schmidt werden den hiesigen Unterbezirk dort vertreten.
Die Vorlage listet die Erfolge der Bundesregierungen auf, an denen Sozialdemokraten beteiligt waren; es verschweigt aber auch nicht die Fehler, die besonders in der Sozialpolitik mitgetragen werden mussten. Besondere Erwähnung fanden hier die Hartz-4-Gesetze und die „Rente mit 67“. Fehlentscheidungen sah man auch bei der so genannten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die vielfach zur Ausbeutung der Arbeiter geführt habe. Auch die Steuererleichterungen für Unternehmen bis hin zur Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne sei eine Fehlleistung gewesen.
Deshalb forderten die Sozialdemokraten an Lahn und Dill, dass Deutschland endlich nicht mehr unter seinen Möglichkeiten regiert werde. Eine „erneuerte SPD“ werde bis zum Herbst 2014 das Vertrauen der Wähler zurück gewinnen und nach ihrem Wahlsieg für eine vernünftige Politik sorgen, welche die Fehler der jüngsten Vergangenheit, insbesondere in der Sozialpolitik, beseitigt. Die SPD wolle, dass es in Deutschland gerecht zugeht.
Da sich unter den Konventteilnehmern sehr viele Kommunalpolitiker befanden, wurde die Diskussion auch von Themen beherrscht, die in den Gemeinden auf den Nägeln brennen. Dabei spielte die Armutsfrage eine große Rolle, basierend auf der Befürchtung, dass Arbeitslosigkeit und Niedrigstlöhne unweigerlich zur Altersarmut führen werden.
Das Skandalthema Sarrazin wurde nur nebenbei gestreift. Murat Polat forderte allerdings, das Thema „Integration“ nicht außen vor zu lassen. Da sei von beiden Seiten in der Vergangenheit einiges versäumt worden, besonders auf dem Gebiet der Bildung. Am eigenen Beispiel wies er nach, dass Integration nur über Sprache und Bildung gelingt. Unterstützt wurde seine Meinung durch einen Tunesier aus Wetzlar, der die SPD als beste Sprachenschule erlebte: Seit 1972 sei er Mitglied und habe hier deutsch gelernt.
Ob „Basisdemokratie“ ein brauchbares Instrument zur Verstärkung der Einbeziehung der Wähler in die Politik sein, wurde bezweifelt, da hier die Gefahr der Manipulation und Stimmungsmache bestehe. Ein Rückkehr zu den Wurzeln sozialdemokratischer Traditionen forderte Unterbezirksvorsitzender Wolfgang Schuster, der zwischenzeitlich von einer Gewerkschaftsveranstaltung kommend, im Konvent eintraf. Er forderte ein Abrücken vom neo-liberalen Gedankengut, das in die politische Irre geführt habe. Die SPD müsse sich ihrer Verantwortung gegenüber der Arbeiterschaft stellen. „Es geht um einen Richtungswechsel in der SPD“, postulierte Schuster: Soziale Gerechtigkeit, Integration und Bildung müssten sozialdemokratische Politik prägen.
Schusters leidenschaftlicher Appell löste eine Welle der Zustimmung bei den Anwesenden aus, manifestiert im Ausruf einer Genossin: „Wir müssen wieder offen zu dieser Partei stehen!“ Die „erfrischende Veranstaltung“ – so das Urteil einer Genossin aus Wetzlar – soll in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.